Erfolgreich zweisprachig erziehen mit diesen 5 Bausteinen
Während der Erwerb von ein, zwei, drei oder sogar mehr Sprachen für Kinder tatsächlich recht leicht ist und die dazugehörigen Grundlagen ziemlich klar sind, so ist das mehrsprachige Familienleben häufig alles andere als einfach. Zweisprachig erziehen kann so schnell zum Stolperstein werden.
Viele Familien geben unterwegs auf. Gründe gibt es viele: Das Kind antwortet nicht in der gewünschten Sprache. Oder jemand meint, das Kind wäre durch die zweisprachige Erziehung überfordert. Vielleicht heißt es auch, das Kind würde im Kindergarten nie zurecht kommen, wenn Zuhause nicht die gleiche Sprache gesprochen werden würde.
Aber das alles muss nicht sein!
Zweisprachigkeit von außen betrachtet
Wusstest du, dass weltweit bereits 2 von 3 Kindern mit mehr als einer Sprache groß werden? Das sagen die letzten Zahlen der UNESCO, die du hier nachlesen kannst. Einsprachigkeit ist längst nicht mehr die Norm, ganz im Gegenteil. Viel mehr Kinder sind von Anfang an zweisprachig, dreisprachig oder sogar mehrsprachig.
Aber nur weil Mehrsprachigkeit so weit verbreitet ist, heißt das noch lange nicht, dass es immer wie von selbst läuft und dass es nichts darüber zu lernen gibt.
Ich habe noch keine mehrsprachige Familien kennengelernt, die nicht irgendwann mal die eine oder andere Frage, den einen oder anderen Zweifel oder die ein oder andere Herausforderung hatte. Zweisprachig erziehen ist eben ein komplexes Thema mit vielen Facetten, die oft auch über die Sprachen an sich hinausreichen und viel mit Identität und Kultur zu tun haben.
Selbst bei uns Zuhause kommen immer wieder mal Bedenken und Fragen auf. Und das obwohl wir beide Sprachwissenschaftler sind und wissen, dass unsere Sprachen – Deutsch, Griechisch und Englisch – für unsere drei Kinder ganz selbstverständlich sind. Hier habe ich zum Beispiel schon einmal darüber geschrieben, welche Herausforderung wir gleich in den ersten Jahren hatten.
Was uns dabei geholfen hat, damit gelassen umzugehen: Durch unseren beruflichen Hintergrund verstanden von Anfang an, was es braucht, was möglich ist und wo unsere Grenzen liegen. So geben wir unser bestes, evaluieren immer wieder mal neu und passen unsere Strategie gebenenfalls an.
Neben wissenschaftlich fundierten Informationen und einer passenden Strategie, wie ihr denn als Familie vorgehen wollt, gibt es noch ein paar grundlegende Bausteine, die erfolgreich zweisprachig Erziehen möglich machen. Damit dein Kind eben sein Leben lang von all seinen Sprachen profitieren und aus dem Vollen schöpfen kann.
Die 5 Bausteine eines erfolgreichen zweisprachigen Familienlebens
Wie könnt ihr als Eltern nun also die besten Voraussetzungen schaffen, damit euer Kind all eure Familiensprachen erwirbt? Spoiler: Mit dem „Ziehen“ in Erziehung hat es auffallend wenig zu tun. Wie mit dem Gras, das auch nicht schneller wächst, wenn man daran zieht. Ich empfehle deswegen zuallererst diese grundlegenden 5 Zutaten:
1 Ziele für die zweisprachige Erziehung definieren
Zunächst ist es ganz wesentlich, dass ihr euch über die Ziele für alle Familiensprachen klar werdet. Soll das Kind sich entspannt mit den Großeltern unterhalten können? Oder strebt ihr ein Sprachniveau an, auf dem es deinem Kind möglich ist, die Schule zu besuchen und Prüfungen abzulegen? Soll dein Kind Lesen & Schreiben lernen oder reichen vorerst die grundlegenden Basics der Konversation?
Dazwischen gibt es etliche Abstufungen! Je detaillierter ihr diese Ziele kennt, desto leichter wird dir und deinem:r Partner:in der nächste Schritt fallen.
Wir zum Beispiel wussten immer, dass es uns wichtig ist, dass unsere Kinder auch die Grundlagen in Lesen und Schreiben mitbekommen. Dabei haben wir die völlig natürliche Neugierde der Kinder ausgenutzt, die von sich aus relativ früh wissen wollten, wie sie denn auch auf Griechisch Lesen und Schreiben können.
Wir haben immer viel mit den Kindern gelesen, sie experimentieren lassen und ihren Lerninstinkt ganz natürlich bedient. Heute liest die Älteste ganz selbstverständlich auch auf Griechisch, die Mittlere kann bereits die Basics und vom Jüngsten, von dem lassen wir uns noch überraschen.
2 Eine passende Strategie finden, um erfolgreich zweisprachig zu erziehen
Bei uns Zuhause war von Anfang an klar, dass mein Mann konsequent Griechisch mit den Kindern sprechen würde, ich selbstverständlich meine Erstsprache Deutsch und wir beide gemeinsam weiterhin auf Englisch kommunizieren würden.
Ich konnte mir das am Anfang gar nicht vorstellen. Gar nicht. Und dann kam unsere erste Tochter auf die Welt und alles war tatsächlich völlig natürlich für uns. Wenn wir heute alle fünf beisammen sind, dann sind immer drei Sprachen im Spiel.
Wenn ihr also wisst, wo ihr hin wollt, dann könnt ihr eine Strategie für die zweisprachige Erziehung finden, die euch und euer Kind dorthin bringt. Das Wichtigste dabei: Diese Strategie muss zu euch passen. Sie muss euren Gegebenheiten, euren Ressourcen und euren Möglichkeiten angepasst sein. Es gibt keine One-fits-all-Lösung, kein 08/15. Es gibt nur eure Lösung. Mögliche Strategien, mit denen du dein Kind sinnvoll zweisprachig begleiten kannst, sind:
Mögliche Systeme für zwei oder mehr Sprachen
- Jeder Elternteil spricht eine andere Sprache mit dem Kind.
- Zuhause sprechen alle eine Sprache, in der Umgebung wird die andere gesprochen.
- Zu bestimmten Zeiten am Tag oder in der Woche sprecht ihr eine Sprache, ansonsten die andere.
- An bestimmten Orten sprecht ihr bestimmte Sprachen (z.B. Im Wohnzimmer, im Esszimmer, im Kindergarten, bei den Großeltern, …).
- In bestimmten Situationen sprecht ihr bestimmte Sprachen (z.B. beim Essen, Baden, Spielen, …).
- Bestimmte zusätzliche Bezugspersonen sprechen bestimmte Sprachen (z.B. Oma und Opa, Babysitter, …).
Was für euch richtig ist und funktioniert, hängt ganz von eurer individuellen Situation ab. Warum es so wichtig ist, auf die individuelle Situation jeder Familie einzugehen, habe ich übrigens schon einmal in dem Beitrag Zweisprachig aufwachsen – was wirklich funktioniert erklärt.
3 Fundierte Informationen
Was mir und meinem Mann mit Sicherheit am meisten geholfen hat von Anfang an, war, dass wir beide maximal informiert waren. Als Sprachwisenschaftler hatten wir nicht nur von vorneherein schon enorm viel Hintergrundwissen, wir hatten auch Zugang zu relevanten, neuesten Informationen und die Fähigkeit, fundierte Informationen von Scheinwissen unterscheiden zu können.
Suche dir wissenschaftlich fundierten Input. Je besser du über mehrsprachigen Spracherwerb Bescheid weißt, desto weniger können dich Herausforderungen entlang des Weges ins Schleudern bringen. Denn ins Schleudern kommen wir alle! Schau dir dabei genau an, wem du vertraust.
Es sind immer noch viele Mythen über mehrsprachigen Erwerb im Umlauf. Vielleicht hast du sogar selbst schon gehört, dass dein Kind später sprechen wird? Oder dass es keine Sprache richtig lernen wird? Oder dass es überfordert sein wird? Alles wissenschaftlich widerlegter Quatsch. Wenn du mehr dazu wissen willst, dann lies zum Beispiel einmal hier weiter, wo ich über eine Studie zum Vergleich zwischen ein- und zweisprachigen Kindern geschrieben habe. Oder schau dich auf meinem Instagramaccount um, wo ich regelmäßig spannende Infos rund um Mehrsprachigkeit teile.
4 Hab Spaß!
Genieße den Prozess! Es wird oft holprig, lustig, bezaubernd und auch frustrierend werden. Schreib mit, was dein Kind so alles sagt, mach Ton- und Videoaufnahmen und freu dich über diese faszinierende Reise. Diese Erinnerungen an euren ganz persönlichen Weg kann dir keiner nehmen!
Und das allerwichtigste: wenn du daran Spaß hast, dann wird dein Kind auch Spaß haben. Wir alle lernen am leichtesten, wenn wir in einem positiven, von Freude und Vertrauen geprägten Umfeld sind.
Wenn du den Weg also genießen kannst, wird ihn dein Kind auch spannend finden. Locker ihn zum Beispiel auf mit den Tipps des Beitrages Sprachförderung bilingualer Kinder oder diesen Montessori Aktivitäten. Zweisprachig erziehen wird dann für euch alle sehr viel leichter und vor allem erfolgreicher ablaufen, als wenn das Umfeld von Angst, Sorge und Frustration geprägten ist. Dann wird zweisprachig erziehen buchstäblich zum Kinderspiel. Und falls dich das Thema Lernen generell interessiert, dann findest du hier und hier spannende Forschungsergebnisse dazu.
5 Professionelle Unterstützung für die zweisprachige Erziehung
Wenn zweisprachig erziehen aber doch einmal herausfordernd wird, dann hol dir professionelle Unterstützung. Die meisten Kinderärzt:innen sind beispielsweise auf diesem Gebiet keine Expert:innen. Auch nicht alle Pädagog:innen werden in ihrer Ausbildung auf kindliche Mehrsprachigkeit sensibilisiert.
Das macht aber gar nichts. Sie sind Fachkräfte in anderen Bereichen und können nicht überall bis ins Detail Bescheid wissen. Mittlerweile gibt es dafür schon einige Expert:innen, die auf das Thema Zweisprachig Erziehen spezialisiert sind.
Was also tun, wenn dein Kind eine der Familiensprachen nicht sprechen will? Was wenn dir geraten wird, mit einer Sprache aufzuhören und dein Kind nicht weiter zweisprachig zu belgeiten? Oder wenn es dir selbst schwer fällt, bei deiner Erstsprache zu bleiben?
Dafür gibt es Lösungen!
Von Herzen gern kann ich dich dabei unterstützen. Ich kann sowohl aus meinem wissenschaftlichen Background als auch meiner praktischen Arbeit mit mehrsprachigen Familien schöpfen. Zudem lebe ich selbst das mehrsprachige Familienleben mit meiner eigenen Familie.
Ich weiß, was es heißt, sich den Herausforderungen zweisprachiger Erziehung zu stellen. Du bist nicht alleine! Dass gerade du heute hier auf diesem Blogartikel gelandet bist, zeigt, dass du auf dem richtigen Weg bist, dich mit eurer Mehrsprachigkeit gezielt auseinanderzusetzen. Lass mich gern wissen, wo ich dich und deine Familie unterstützen kann.
Liebe Bettina,
vielen Dank für einen super interessanten Artikel.
Mein Frau (Deutsch) und ich (Russe) haben vier Kinder im Alter von 14, 10, 8 und 8 Jahren.
Unsere Familiensprache ist deutsch. Meine Muttersprache ist russisch; deutsch ist fast genauso gut (bin mit 20 Jahren nach Deutschland gekommen und lebe seit nun mehr al 16 Jahren hier).
Bei der ältesten Tochter habe ich in den ersten 3-4 Jahren es hinbekommen nur russisch mit ihr zu sprechen. Antworten auf russisch hat bei ihr nicht sehr gut geklappt. Bei den restlich 3 Kindern hat es so gut wie gar nicht funktioniert. Sie verstehen nur sehr wenig russisch.
Jetzt möchte ich gerne „alles wieder gut machen“ 🙂 Ist es aus deiner Sicht, als Sprachwissenschaftlerin, noch realistisch den Kindern die zweite Sprache (russisch) beizubringen oder ist der Zug mittlerweile abgefahren?
Über deine Rückmeldung und Empfehlung würde ich mich sehr freuen!
Vielen Dank im Voraus und
Liebe Grüße
Timo
Hallo Timo, entschuldige die späte Antwort, dein Kommentar war mir nicht angezeigt worden. Natürlich ist es noch möglich. 1. Kannst ja auch du jederzeit entscheiden, eine neue Sprache zu erlernen (und du selbst bist ja der beste Beweis dafür, dass es sogar mit 20 noch bis zur Perfektion klappen kann). 2. Musst du dich einfach dafür entscheiden und im ersten Schritt einfach mal loslegen. Wenn du Unterstützung brauchst, dann schau dir bitte unbedingt mein 6-Monatsprogramm Multilingual Momentum Club an. Darin kümmern wir uns genau um solche Herausforderungen. http://www.dilinguistin.at/multilingual-momentum-club