Mehrsprachigkeit, Perfektionismus und das menschliche Gehirn

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Von der Sekunde an, in der unsere Älteste 2012 langgestreckt und laut schreiend vor uns auf dem Boden im Kreissaal lag, haben wir zwei Sprachen mit ihr gesprochen: mein Mann Griechisch und ich Deutsch. Deutsch war aber immer die dominante Sprache in ihrem Umfeld. Genauso wie bei unserer Zweiten, die zweieinhalb Jahre später zur Welt kam, und ebenso bei unserem Jüngsten. Griechisch hören sie fast nur von ihrem Papa und ansonsten bei unseren alljährlichen Sommer- und Weihnachtsbesuchen in Griechenland.

Der Anfang ihrer Mehrsprachigkeit

Beide Mädchen verwendeten von Beginn an neben deutschen auch einige griechische Wörter. Aber eine von beiden gab das Griechische völlig auf, als sie immer wortgewandter im Deutschen wurde, während die andere gleich aktiv dabei blieb. Trotzdem verstanden beide alles, was ihr Papa sagte.

Die beiden Mädchen beim Ahorn-Nashorn Kleben.

Der Papa meiner Kinder ist ein sehr stark involvierter Vater. Er arbeitet zwar viel, aber wenn er da ist, dann ist er auch voll und ganz bei den Kindern. Er spielt mit ihnen, liest viel vor, erzählt Geschichten und singt eine endlos erscheinende Zahl an verschiedenen griechischen Liedern mit ihnen.

Dennoch ist das natürlich nicht das gleiche wie eine ganze Sprachgemeinschaft im Umfeld. Wir wussten: um Griechisch zu einer dominanteren Sprache zu machen, bräuchten sie wesentlich mehr Input und vor allem Situationen, in denen Griechisch die einzige Möglichkeit ist, sich zu verständigen. Am allerbesten wären andere Griechisch sprechende Kinder, denn nichts hat einen so starken Einfluss auf die Sprache wie die Peergruppe.

Aber ohne griechische Familie oder Freunde war dem schwer beizukommen. So sprachen beide Kinder sogar mit ihrem Papa meistens Deutsch. Denn so wie wir wissen, dass sie alles Griechische verstehen, so wissen sie, dass er meist auch das Deutsche versteht.

Warum aber gingen die beiden Mädchen trotzdem so unterschiedlich mit dem Griechischen um? Während die eine munter drauf los plauderte, wollte die andere es einfach nicht verwenden. Nicht einmal mit ihren Großeltern sprach sie Griechisch, obwohl die wirklich kein Wort Deutsch verstanden. Sie weigerte sich sogar, unser liebstes griechisches Weihnachtslied mitzusingen.

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Der Moment, in dem sich alles zu verändern begann

Bis ich eines Abends, während eines Griechenlandbesuches, alleine mit ihr im Badezimmer war und lauthals besagtes Lied sang. Ich, ihre österreichische Mama, die sich nicht sonderlich darum sorgte, ob das alles auch wirklich richtig ausgesprochen ist. Und plötzlich sang sie mit.

In der Sekunde verstand ich sie. Sie war eine Perfektionistin. Sie wusste ganz genau, dass ihr Griechisch nicht so gut war wie ihr Deutsch. Erst bei mir traute sie sich. Und nach ein paar Tagen bekam auch ihr Papa das griechische Lied von ihr zu hören. Nur reden, das wollte sie noch immer nicht.

Diesen Schritt in ihre aktive Mehrsprachigkeit konnte sie erst ein weiteres Jahr später gehen. Nach einem zufälligen Treffen mit einem griechischen Kind im Park, mit dem sie eine Zeitlang wortlos spielte, war der Drang zu kommunizieren plötzlich größer als der Wunsch, die Sprache perfekt zu beherrschen. Von diesem Moment an gab sie sofort komplexe griechische Sätze mit außergewöhnlichen Worten von sich. Ein weiteres Zeichen dafür, dass es nie wirklich um mangelnde Kompetenz ging, sondern viel mehr um ihre eigenes Bedürfnis, sich sicher ausdrücken zu können.

Die Situation heute

Heute reden beide Mädchen auch in Wien sehr selbstbewusst Griechisch. Wenn sie miteinander spielen, ihrem Papa etwas anschaffen oder wenn sie mit ihrem Opa oder ihrer Tante videotelefonieren. Beiden Mädchen ist bewusst, dass ihr Deutsch sehr viel besser ist. Sie stellen das auch ganz sachlich selbst fest. Aber beide korrigieren mein Griechisch zuverlässig und vehement, wenn ich etwas falsch ausspreche oder mal wieder einen Grammatikfehler mache.

Was uns als Eltern und Linguisten wichtig ist

In all der Zeit blieben wir Eltern entspannt. Ja sicher find ich es jetzt spannend zu hören, wie sie oft Griechisch miteinander reden. Ja, wir freuen uns und ja, wir sind stolz. Aber für uns standen im Hinblick auf die Mehrsprachigkeit immer zwei Dinge im Vordergrund:

Erstens, dass sie die Sprache nie mit Zwang, Druck oder bestimmten Erwartungshaltungen von uns Eltern verbinden. Ihre Beziehung zum Griechischen sollte vor allem entspannt und nicht negativ belastet sein.

Zweitens, dass sie die Sprache grundsätzlich verstehen. Das bedeutet nämlich, dass der wesentliche Grundstock in ihrem Gehirn angelegt ist. Denn nie wieder im Leben lernt man eine Sprache so mühelos und nebenbei wie ein Kind. Wir haben nur diese eine Chance, einen griechischen Grundstock in ihrem Gehirn wachsen zu lassen. Und diese eine Chance ist jetzt. Diesen Grundstock der Mehrsprachigkeit kann ihnen nie wieder jemand wegnehmen.

Und wer weiß, vielleicht will eine von ihnen einmal Griechisch studieren. Oder eine Weile in Griechenland arbeiten. Wofür auch immer sie sich entscheiden, sie haben auf jeden Fall diese zusätzliche Sprache, die sie miteinbeziehen können.

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