Wiederholungen und der Wortschatz

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Es ist später Nachmittag, mein Jüngster ist müde und mag am liebsten nur bei Mama sein. Er bringt mir sein aktuelles Lieblingsbuch. Wir kuscheln uns gemütlich zusammen und lesen das Buch ‚Gute Nacht, Gorilla‘. Noch jedes meiner Kinder war von diesem Buch restlos begeistert. Kaum sind wir damit fertig und mach ich die letzte Seite zu, sagt er sofort: „Noch mal!“

Kinder lieben Wiederholungen. Sie ermöglichen ihnen nicht nur das Gelernte zu festigen, sondern auch, es überhaupt erst einmal so richtig mit allen Sinnen zu begreifen.

Für den Spracherwerb ist das Wiederholen besonders wichtig. Nur so kann der Wortschatz dauerhaft erweitert und vertieft werden. Erweiterung bedeutet, neue Wörter dazuzulernen. Vertiefung bedeutet, zu bereits bekannten Wörtern den vollen Bedeutungsumfang zu lernen.

Wie funktioniert Wortschatzerweiterung?

Kinder sind ja geniale Lerner. Hier habe ich schon einmal darüber geschrieben, was anfänglich alles nötig ist, damit ein Kind überhaupt beginnen kann, Wörter zu lernen. Aber schon mit etwa 2 Jahren wenden sie dann eine faszinierende Technik an, um sich neue Wörter und Konzepte anzueignen: Fast Mapping. Dabei speichern sie ein neues Wort schon beim ersten Mal Hören ab. Bis zu einer Woche behalten sie dieses Wort dann im Gedächtnis, selbst wenn sie es in der Zeit nicht mehr hören. Damit es aber dauerhaft im Gedächtnis bleibt, muss es wieder und wieder vorkommen. Nur so werden die entsprechenden neuronalen Wege regelmäßig befeuert und dauerhaft angelegt.

Fast Mapping ermöglicht es Kindern, in kurzer Zeit wirklich viele Wörter auf einmal zu lernen. Ob sie dann langfristig auch erhalten bleiben, darüber entscheidet lediglich die Frequenz, mit der sie diese Wörter zu hören bekommen. Anders ausgedrückt: nur Wörter, die für das Kind relevant sind, weil sie eben in seiner Umgebung regelmäßig vorkommen, werden auch langfristig abgespeichert.

Wozu braucht es Wortschatzvertiefung?

Beim Fast Mapping kann das Wort aber natürlich nur mit der Bedeutung verknüpft werden, die es im gegebenen Kontext gerade hatte. Sieht das Kind zum Beispiel zum ersten Mal einen Hund, der zufällig ein Dackel ist, dann speichert es zum Wort ‚Hund‘ erstmal das Bild von einem Dackel ab.

Sieht es dann später einen Schäferhund, dann hat der für das Kind erstmal nicht notwendigerweise irgendwas mit dem Dackel zu tun. Erst wenn es lernt, dass auch ein Schäferhund (und eine Bulldogge, ein Pudel und ein Chihuahua) ein Hund ist, wird der Bedeutungsumfang des Wortes ‚Hund‘ entsprechend ausgeweitet und abgespeichert.

Fast mapping ermöglicht also eine schnelle Erweiterung des Wortschatzes, während die Wiederholung Dauerhaftigkeit garantiert und eine Vertiefung des Wortschatzes möglich macht.

Warum Bücher so wertvoll sind

Beim Buchlesen passiert beides. Der Wortschatz wird automatisch erweitert. Immerhin kommen in Büchern sehr oft Wörter vor, die wir im Alltag selten oder nie gebrauchen. Und er wird vertieft, weil die Kinder bereits bekannte Wörter möglicherweise in einem neuen Kontext sehen.

Und beim Bücherlesen sind Wiederholungen extra wichtig: Die Sprache in Büchern ist automatisch eine andere als die gesprochene Sprache. Die Formulierungen sind anders, die Grammatik unterscheidet sich, die Wortwahl sowieso. Das Wiederholen ermöglicht es dann den Kindern, all das auch tatsächlich aufzunehmen. Wahrscheinlich verstehen vor allem die Kleinen beim ersten Mal Lesen noch bei weitem nicht alles. Beim zweiten Mal vielleicht ein bisschen mehr. Und beim gefühlten 7963sten Mal dann erst wirklich alles.

Wozu die Bilder in Büchern wichtig sind

Kennst du das? Wehe wenn die Kinder beim Lesen die Bilder nicht ordentlich sehen können! Gott behüte die Haare der Schwester sind etwas im Bild. Oder fast noch schlimmer: die Seite glitzert von der Lichtreflexion. Meine werden dann immer gleich ganz unrund. Gelinde ausgedrückt.

Die Bilder sind aber auch tatsächlich richtig wichtig: sie unterstützen das Verständnis des Gehörten und damit den Spracherwerb. Von den Bildern können die Kinder Rückschlüsse auf den Text machen und so ihr Textverständnis nach und nach ausweiten.

Und mehrsprachige Kinder?

Mehrsprachige Kinder durchlaufen all das natürlich in all ihren Sprachen. Was wieder einmal mehr zeigt, wie genial Kinder sind. Denn sie machen das alles auch in mehr als einer Sprache mit Leichtigkeit und quasi nebenbei. Denn auch hier gilt wieder: alles, was relevant ist für den Alltag des Kindes ist, wird im Gehirn abgespeichert. Ob das jetzt eine, zwei, drei oder mehr Sprachen sind, spielt da erst mal keine Rolle.

Was eine Rolle spielt, ist die Quantität und die Qualität in der die Kinder die einzelnen Sprachen zu hören bekommen. Und zumindest einer Studie aus dem Jahr 2013* zufolge, hat auch die Konsequenz, mit der die einzelnen Sprachen im Familienalltag getrennt werden, einen direkten Einfluss auf den Umfang des Wortschatzes. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Kinder, deren Eltern konsequent getrennt hatten, mit 18 Monaten einen höheren passiven und mit 24 Monaten einen höheren aktiven Wortschatz hatten, als Kinder, deren Eltern nicht konsequent waren.

1 Wort gleichzeitig in allen Sprachen?

Damit lässt sich auch eine Frage leicht beantworten, die immer wieder mal von mehrsprachigen Eltern kommt: Kann man die Wortschatzerweiterung bei mehrsprachigen Kindern sinnvoll unterstützen, indem man ein Wort gleich auf einmal in allen Familiensprachen präsentiert?

Auf keinen Fall. Kleinen Kindern ist noch gar nicht bewußt, dass sie mehr als eine Sprache verwenden. In ihrem Gehirn sind sie zwar schon separat angelegt, aber darüber besteht noch kein Bewußtsein. Sie können also gar nichts damit anfangen, wenn sie zu einem Gegenstand von ein und derselben Person plötzlich nicht nur „Gabel“, sondern etwa auch „fork“ hören. Vor allem können sie kognitiv die Begriffe dann nicht den richtigen Sprachen zuordnen und die Wörter somit auch nicht im korrekten mentalen Lexikon abspeichern.

Ich spreche zwei verschiedene Sprachen!

Wenn die Bewusstwerdung dann einsetzt, je nach Kind unterschiedlich irgendwann so rund um 3 Jahre, wird man früher oder später wahrscheinlich auch Gespräche darüber führen, wer in der Familie wie zu etwas sagt. Aber selbst dann ist es überhaupt nicht notwendig oder zielführend, immer beide Begriffe zu nennen.

Dann könnt ihr gemeinsam mit den Sprachen spielen, du kannst mit deinem Kind über eure Sprachen reden, es zu Hilfe holen, wenn du selbst etwas in der anderen Familiensprache sagen möchtest oder auch mit ihm teilen, warum du es dir so eine Herzensangelegenheit ist, dass dein Kind alle Familiensprachen lernt.

*Byers-Heinlein, Krista. 2013. Parental language mixing: Its measurement and the relation of mixed input to young bilingual children’s vocabulary size. Bilingualism: Language and Cognition 16:32–48.

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