Schaut ein bilinguales Gehirn anders aus?

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Während es uns heute beinah schon logisch erscheint, dass Mehrsprachigkeit kognitive Vorteile mit sich bringt, ging man noch bis in die 1960er Jahre davon aus, dass mehrere Sprachen besonders für Kinder von Nachteil seien. Damals glaubte man, dass der junge Geist mit den Informationen zweier Sprachen überfordert sei und Mehrsprachigkeit nur zu Verwirrungen führe.

Zum Glück wissen wir es heute besser. Nicht zuletzt, weil wir in der Lage sind, differenzierter zu forschen. Dank moderner Technologien können wir heute etwa abbilden, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir bestimmte Aufgaben ausführen. Zum Beispiel zwischen Sprachen wechseln. Anders als zunächst angenommen sind die Regionen des Gehirns, die dabei aktiv sind, nicht ausschließlich für Sprache an sich zuständig. Im Gegenteil: es handelt sich dabei um Regionen, die der kognitiven Steuerung generell zugeschrieben werden.

Vorteile beim schnellen Wechsel zwischen Aufgaben

Aufgrund dieser Verfahren wissen wir mittlerweile auch, dass zweisprachige Menschen immer alle ihre Sprachen im Gehirn aktiviert haben. Die Sprache, die sie gerade nicht verwenden, unterdrücken sie aktiv. Dazu ist eine hohe Impulskontrolle notwendig, die sich auch auf andere Bereiche auszuwirken scheint. Bahnbrechende Forschung von Ellen Bialystok (1999) hat etwa gezeigt, dass es Bilingualen leichter fällt, schnell zwischen verschiedenen Aufgaben zu wechseln.

Ein klassischer Test dafür ist der sogennante Dimensional Change Card Sort Test. Dabei werden Kindern Karten gezeigt, auf denen unterschiedliche Formen in unterschiedlichen Farben zu sehen sind. Sie müssen diese Karten dann entweder nach den Formen oder nach den Farben sortieren. Beurteilt wird dann, wie fehlerlos sie zwischen den beiden Aufgaben hin und her wechseln können. Bilinguale Kinder schneiden dabei durchwegs besser ab als einsprachige (z.B. Bialystok 1999, Bialystok und Martin 2003).

Zweisprachigkeit verändert das Gehirn

Bildgebende Verfahren (fMRT) zur Darstellung von Hirnaktivität bieten eine faszinierende Möglichkeit, direkt in die Hirnstrukturen zu schauen und die Funktionen zu beobachten. Mechelli und KollegInnen (2004) untersuchten die Dichte an grauer Substanz in 25 einsprachigen und 58 zweisprachigen TeilnehmerInnen. Von diesen 58 wurde 25 als sogenannte frühe Bilinguale eingestuft, da sie ihre zweite Sprache vor der Vollendung des 5. Lebensjahres erworben hatten. Die restlichen 33 gelten als späte Bilinguale, da sie ihre zweite Sprache im Alter zwischen 10 und 15 Jahren erworben hatten.

Die Studie zeigt, dass ein bilinguales Gehirn eine höhere Dichte an grauer Substanz im linken unteren Parietallappen aufweist. Graue Substanz besteht überwiegend aus Nervenzellkörpern. Sie ist wichtig für Muskelkontrolle und die Verarbeitung sensorischer Reize. Diese Hirnregion wird für auditorischen und visuellen Aufmerksamkeitsfokus verwendet und spielt eine Rolle, wenn wir erkennen wollen, woher ein akustischer oder visueller Reiz kommt. Außerdem wird sie mit der Fähigkeit, zwischen Sprachen zu wechseln, in Zusammenhang gebracht.

Der Zusammenhang zwischen Zweisprachigkeit und allgemeinen Fähigkeiten

Della Rosa et al. (2013) interessierten sich nun dafür, ob es zwischen diesen kognitiven Fähigkeiten und Bilingualismus einen größeren Zusammenhang gibt. Konkret vermuteten sie, dass diese kognitiven Leistungen, das Spracherwerbsalter und die Höhe der Sprachkompetenz miteinander in Verbindung stehen könnten. Die Forschergruppe nannte das einen „Interaktionseffekt mehrsprachigen Talents“.

In dieser Langzeitstudie wurden 15 9-jährige Kinder in der mehrsprachigen Region Südtirol in Norditalien zwei Mal innerhalb eines Jahres getestet. Während ihre Hirnaktivität überwacht wurde, mussten die Kinder rasch entscheiden, ob ein sich ununterbrochen bewegender Pfeil auf einem Bildschirm nach links oder nach rechts zeigte. Sie wurden also darauf getestet, wie schnell und wie verlässlich sie auf einen visuellen Reiz reagieren konnten.

Um den Zusammenhang zwischen der mehrsprachigen Kompetenz und den Ergebnissen dieses Tests herstellen zu können, bewerteten die Wissenschaftler die mehrsprachige Kompetenz der Kinder ausgehend von den Schulnoten in der jeweiligen Sprache. Und sie erstellten zwei Karten ihres Gehirns, die die Menge an grauer Substanz zeigten.

Interaktionseffekt mehrsprachigen Talents

Die Ergebnisse sind erstaunlich: Es scheint tatsächlich einen direkten Zusammenhang zwischen der Höhe der Sprachkompetenz, der Genauigkeit der Zielerkennung und der Menge an grauer Substanz in dieser speziellen Hirnregion zu geben, die mit diesen Fähigkeiten in Zusammenhang gebracht wird. Diese Hirnregion stimmt übrigens zu 70% mit der Region aus der vorhin erwähnten Studie von Mechelli und anderen überein, befindet sich also im linken unteren Parietallappen.

Die Ergebnisse beider Studien bestätigen die Erkenntnisse der Hirnforschung übrigens auch in Bereichen, die nichts mit Sprache zu tun haben: So wird angenommen, dass die Struktur des menschlichen Gehirns in direktem Zusammenhang mit seiner Umwelt steht. In anderen Worten: Das Gehirn verbindet und versorgt jene Bereiche stärker, die der jeweilige Mensch für seinen Alltag am meisten braucht. 

Faszinierend, oder?

P.S.: Zur Studie von Della Rosa und KollegInnen gibt es auch einen Beitrag von Rai Bozen, der hier auf YouTube anzusehen ist.

Quellen
Bialystok, Ellen (1999): «Cognitive Complexity and Attentional Control in the Bilingual Mind», Child Development, 70.3, 636-644.
Mechelli A, Crinion JT, Noppeney U, O’Doherty J, Ashburner J, Frackowiack RS, et al. Neurolinguistics: Structural plasticity in the bilingual brain. Nature, 431: 757, 2004.
Rosa, Pasquale Anthony Della, Gerda Videsott, Virginia Maria Borsa, Matteo Canini, Brendan S. Weekes, Rita Franceschini, and Jubin Abutalebi. 2013. A neural interactive location for multilingual talent. Cortex 49:605–608.

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