Ich schau dir in die Augen, Kleines!

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Oft bin ich ganz darauf konzentriert, etwas zu erledigen, möglichst schnell, möglichst effizient. Da nehm ich mir dann für nichts anderes Zeit, da will ich nicht gestört werden, da geht’s stur nur um die Aufgabe, die ich erledigen will. Wenn dann mein 2,5-jähriges Kängurukind #1 kommt und etwas von mir will, vertröste ich sie, während ich geschäftig weitermache, oft ohne sie überhaupt anzuschauen. Wenn sie sich dann beschwert oder noch mehr einfordert, werde ich schnell ungeduldig, wenn’s länger dauert, manchmal sogar ungehalten. Wenn dann eine von uns noch dazu vielleicht müde oder hungrig ist, dann kann das Ganze schnell außer Kontrolle geraten. Und am Schluss sind wir dann beide traurig oder enttäuscht oder genervt oder wütend. Oder all das auf einmal.

Mit der Geburt von Kängurukind #2 haben sich diese Situationen noch zusätzlich verschärft. Die Zeit war plötzlich viel knapper bemessen, Kind #1 hat ohnehin schon sehr viel weniger von meiner uneingeschränkten Aufmerksamkeit bekommen, und wenn ich dann noch versucht habe, etwas zu erledigen, dann war’s verständlicherweise oft ganz aus.

In einer solchen Situation war ich in der Küche ganz vertieft ins Kochen. #1 stand in ihrem Turm bei mir und hat ich-weiß-nicht-mehr-was gemacht. Sie wollte was von mir, ich weiß nicht mehr was. Ich habe wohl geantwortet, aber ohne sie anzuschauen. Und plötzlich waren da diese Worte von ihr, die mich mitten ins Herz und ins Hirn getroffen haben: „Mama! Schau mich an, Mama!“

Kind #1 wollte wissen, dass ich sie sehe. Nicht, dass ich sie eh höre, oder dass ich kurz hinschaue oder dass ich ihr zusehe. Nein, dass ich sie als Person, als meine Tochter, als Mensch sehe. Dass ich alles für ein paar direkte Augenblicke sein lasse und ihr zeige, dass ich für sie da bin, dass sie wichtig ist, dass sie gesehen wird. Mir wurde auf einmal bewusst, dass ich oft mit ihr redete, ohne sie anzuschauen, ohne ihr zu zeigen, dass ich sie sehe, weil ich viel zu sehr damit beschäftgt war, etwas zu erledigen.

Dann habe ich mich vor sie hingestellt und ihr in die Augen geschaut. Wir haben uns in die Augen geschaut. Lange und tief. Bis es genug für sie war. Bis sie sich gesehen, wahrgenommen, gewürdigt fühlte. Dann ging sie wieder ich-weiß-nicht-mehr-was nach. Und ich habe wieder gekocht.

Seitdem schaue ich ihr oft ganz bewusst in die Augen, wenn ich mit ihr rede, und warte, bis sie wieder wegschaut. Und manchmal, wenn ich das Gefühl habe, dass sie unsicher ist, dass sie mich vermisst oder dass sie sich vernachlässigt oder einsam fühlt, dann geh ich einfach so zu ihr hin und schau ihr tief in die Augen. Bis jetzt hat sie das immer angenommen, hat zurückgeschaut mit ihren wunderschönen großen Rehaugen, und wenn sie genug hatte, hat sie wieder weggeschaut.

Es braucht oft so wenig, dass sie sich sicher und aufgehoben fühlt. Ein paar Sekunden in die Augen schauen, sie wirklich sehen und wahrnehmen, wirken oft Wunder. Und mir tun diese Sekunden auch in der Seele gut.

Kindern das Gefühl von Verbundenheit („connection“) zu geben ist eine von den 3 Hauptzutaten von Laura Markhams Philosophie, die sie in dem Buch Peaceful Parent, Happy Kids vorstellt. Und Kängurukind #1 hat mich an dem Tag, als sie mich dazu aufforderte, sie doch einfach anzuschauen, an eine ganz simple Art und Weise erinnert, wie man jemandem auch zwischendurch immer wieder vermitteln kann, dass man mit ihm tief verbunden ist. Laura Markham ist übrigens klinische Psychologin, arbeitet als Eltern Coach und betreibt die Webseite www.ahaparenting.com.  

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8 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Sonja Thoma am 5. Juni 2015 um 22:44

    Es geht mir so oft so mit meinen drei… und speziell jetzt, wo ich mitten in der Dissertation stecke; ich habe wenig Geduld im Moment. Aber Kinder darf man nicht einfach immer weiter vertrösten, speziell die Kleinen, bei denen es, wie du schön sagst, ums ‚gesehen werden‘ geht. Vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag.

    • Veröffentlicht von Kängurukinder am 6. Juni 2015 um 20:19

      Ja gerade in der Endphase ist Geduld so ziemlich das letzte, das man hat. Ich verstehe das sehr gut. Es freut mich, wenn dich mein Beitrag berührt hat. Dann hat sich mein Wunsch für meinen Blog bereits erfüllt.

  2. Veröffentlicht von Tinaa am 10. Juni 2015 um 16:19

    Oh wie du mir da aus der Mama-Seele sprichst. Auch hier ist Zeit für meine Maus gerade Mangelware wegen der d.. Diss und die in meinem Fall hellblauen Augenblicke tanken nicht nur mein Mädchen auf, sondern vor allem mich!

    • Veröffentlicht von Kängurukinder am 10. Juni 2015 um 17:53

      Viel Erfolg mit der Diss! Promotion mit Kind ist was ganz Besonderes. Und deine Kleine spürt, dass du trotzdem bei ihr bist.

  3. Veröffentlicht von Jule am 12. Juni 2015 um 17:26

    Danke für diesen Text.
    Mir sind die Tränen gekommen- weil ich so viel Liebe spüre.
    Herzlichst, Jule
    https://hebammezauberschoen.wordpress.com

  4. Veröffentlicht von Importkaaskop am 3. Juli 2015 um 12:32

    Das Buch von Laura Markham liegt bei mir auch noch im Schrank. Muss ich aber noch lesen! Ich finde es leider oft schwer, peaceful zu bleiben.
    LG, Kristine

    • Veröffentlicht von Kängurukinder am 3. Juli 2015 um 13:37

      Auf die Toilette legen. Da liegen bei uns im Moment mindestens 4 Bücher, da kann ich immer wieder mal kurz was lesen. Und Markhams Buch kann man auch ein bisschen wie ein Nachschlagewerk verwenden. Da es mehrere Altersstufen behandelt ist immer nur ein Teil aktuell relevant.

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